Seeing - Dr. Christian Pinter - Fototipps

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Seeing

Das Licht von Planeten ist etliche Lichtminuten völlig ungestört unterwegs, das von Fixsternen viele Jahre. Erst in den letzten paar Zehntausendstel Sekunden der Reise wird es von unserer Lufthülle gestört. Die himmlischen Lichtpunkte variieren daher chaotisch in Helligkeit, Ort und Farbe. Sie "funkeln".
Sterne funkeln in vielerlei Pastelltönen, wie die Fotoserie links zeigt. Man sieht den Sirius, festgehalten mit einem 300 mm Tele.

Ich habe das Objektiv absichtlich unscharf gestellt, da unser Auge die Farben bei flächigen Objekten besser wahrnimmt als bei punktförmigen.
Interessant ist auch mein Sirius-Video bei Vimeo (USA), aufgenommen mit einem defokussierten Schmidt-Cassegrain Teleskop von 2.000 mm Brennweite.
Warme Luft besitzt einen anderen Brechungsindex als kalte. Durch die Konvektion durchmischen sich die unterschiedlich temperierten, blasenförmigen Luftzellen chaotisch. Es ist, als würde ein himmlischer Optiker in extrem rascher Folge ganze Serien schwacher Linsen unterschiedlicher Dioptrienzahl vor unsere Augen halten.

In Folge kommt es bei Himmelsobjekten zu allerlei "Bildstörungen". Teilaspekte sind:

  • eine variierende Helligkeit
  • rasch wechselnde Farben
  • ein Hin- und Herpendeln um einen mittleren Ort
  • ein wechselnder Fokus  

Was beim freiäugigen Blick zum Sternenhimmel romantisch anmutet, wird beim Einsatz eines Teleskops zum Ärgernis. Denn bei unruhiger Luft sinkt die praktische Auflösung des Teleskops sehr deutlich. Man spricht dann von "schlechtem Seeing".

Um ihm zu begegnen, müsste man außerdem ständig am Fokusknopf des Teleskops drehen. Weil das nicht geht, sucht man jenen Schärfepunkt, bei dem das Bild möglichst oft scharf erscheint. Knapp abseits dieses Punkts wird es ebenfalls zeitweise scharf, aber seltener. Noch weiter abseits ist das dann so gut wie nie der Fall.
Nur bei wirklich ruhiger Luft - also sehr gutem Seeing - kann das Teleskop seine Vergrößerungskraft wirklich ausspielen.

Dann wird eine Fülle von Details erkennbar.




Foto links:
Schlechtes Seeing zerfranst den Mondrand.

Was lässt sich dagegen tun?

Um Riesenteleskope auszureizen, wird die vom Seeing bedingte Bildstörung laufend analysiert. Ein Computer leitet daraufhin Gegenmaßnahmen in Echtzeit ein: Ein verformbarer Hilfsspiegel verbiegt sich in atemberaubendem Rhythmus und gleicht so die Verzerrungen weitgehend aus. Diese Adaptive Optik (AO) steigert die praktisch erzielbare Trennschärfe von entsprechend konzipierten Instrumenten wesentlich.

Mittlerweile gibt es sehr teure Ansätze für AO auch im Amateurbereich. Die folgenden Gegenmaßnahmen sind erschwinglicher.
  • Je höher das Gestirn, desto weniger "Atmosphären" sind dazwischen

Das Seeing wird von der irdischen Atmosphäre verursacht. Es verschlechtert sich mit der Masse an Luft, die zwischen dem Beobachter und dem Himmelsobjekt liegt. Und die ist im Verlauf der Nacht keinesfalls konstant. Im Gegenteil:   

Stünde das Objekt am Himmelsscheitel, dem Zenit, türmte sich zwischen uns und ihm exakt 1 Atmosphäre (engl., air mass, Luftmasse) auf. In halber Himmelshöhe wären es grob eineinhalb Atmosphären.

Weilt das Gestirn etwa 30 Grad über dem Horizont, gerät der Weg durch die Luft schon etwa doppelt so lang. Bei 20 Grad Höhe misst er schon das dreifache, bei 15 Grad rund das vierfache, bei 10 Höhe fast das sechsfache und bei 5 Grad Höhe beinahe das zehnfache des Zenitwerts. Am Horizont ist fast der 40fache Weg zu überwinden.

Sinkt ein Gestirn Richtung Horizont, vervielfacht sich das Ausmaß an zu überwindender Atmosphäre - und damit der optisch wirksamen Luftmassen - also rasant. Entsprechend verschlimmert sich das Seeing exponentiell.

Manche PC-Programme wie Stellarium, Cartes du Ciel (Skychart) oder FireCapture führen die Luftmasse ausdrücklich an.
Stellarium bietet auswählbare Informationen zum Objekt an - z.B. die aktuell wirkende Luftmasse
Hat man die Wahl, beobachtet man Objekte also bei ihrem jeweiligen Höchststand, der exakt im Süden eintritt. Fachleute nennen ihn Kulmination. Je weiter man sich zeitlich von diesem Idealtermin entfernt, desto geringer ist die Höhe über dem Horizont. In der Praxis fluktuiert das Seeing leider auch kurzfristig, weshalb sich abseits der Kulmination mitunter sogar bessere Beobachtungsbedingungen einstellen.

Die Planeten Venus und (noch schlimmer) Merkur klettern während der Dämmerung in unseren Breiten nie allzu hoch. Bei den anderen Planeten hängt es stark von der Jahreszeit ab. Bei sommerlichen Oppositionen weilen Planeten in den südlichen Abschnitten des Tierkreises, die sich in unseren Breiten nicht allzu hoch in den Himmel schwingen. Bei winterlichen Oppositionen strahlen sie in den nördlichen Tierkreisregionen und steigen hoch in den Nachthimmel auf.

Betuchte Amateure weichen deshalb in südlichere Gefilde aus. In den Tropen erreichen alle Tierkreissternbilder ordentliche Himmelshöhen.
  • Sterne und Deep Sky: Ausgleich über die Zeit hinweg

Würden wir einen hellen Stern extrem kurz belichten, fiele das Ergebnis wohl recht ungenau aus. Wir würden mit einiger Wahrscheinlichkeit keinen repräsentativen Augenblick erwischen. Helligkeit, Farbe, exakter Ort und Fokus entsprächen nicht dem "Normalzustand", sondern wären dem Augenblick geschuldet.

Bei der Fotografie von Sternen und Deep Sky Objekten braucht es, um genug Licht einzufangen, aber meist Belichtungszeiten im Bereich von mehreren Sekunden bis Minuten. Dabei kommt es zu statistischen Mittelwertbildungen. Fluktuationen in Helligkeit und Farbe gleichen sich statistisch aus. Ergebnis ist ein repräsentatives Bild des Objekts, das sich sogar astrofotometrisch auswerten lässt.

Auch der exakte Ort und der Fokus gleichen sich über die Zeit hinweg aus. Allerdings tanzt der Sternenort um einen Mittelwert herum. Man ist geneigt, an die Gaußsche Glockenkurve zu denken: Kleine Abweichungen vom Mittelwert treten häufiger auf als große. Der abgebildete Stern legt deshalb über die Belichtungszeit hinweg an "Dicke" zu, gerät im schlimmsten Fall zu einem Batzen. Für fein auflösende Fotos und astrometrische Arbeiten zieht man daher Nächte mit möglichst geringer Luftunruhe vor.

  • Mond und Planeten: Lucky Imaging

Bei möglichst hochauflösenden Fotos von Mond und Planeten nützt uns der statistische Ausgleich gar nichts. Er verwischt nur jene Details, die hart an der Auflösungsfähigkeit des Teleskops liegen. Deshalb wählt man hier einen ganz anderen Weg. Statt einer lang belichteten Aufnahme erstellt man eine möglichst umfangreiche Serie von möglichst kurz belichteten Einzelbildern.

Darunter befinden sich dann auch solche, die das Planetenbild unverzerrt und im Fokus zeigen. Eine spezielle Software sucht eben diese Einzelbilder heraus. Weil sie jeweils arg verrauscht sind, werden die besten Bilder virtuell übereinander gelegt (also gestapelt oder "gestackt"). Weil das Rauschen zufallsverteilt ist, reduziert man es durchs Stacking.

Aus praktischen Gründen lässt man bei diesem Lucky Imaging nicht die Spiegelreflexkamera klappern, sondern filmt den Planeten: Ein solches Video besteht ja aus einer raschen Abfolge von Einzelbildern. Videokameras fangen um die 30 Bilder pro Sekunde ein, empfindliche Planetenkameras schaffen das Zehnfache.
Vimeo (USA) hostet mein Saturn-Video, das mit einer solchen Cam (Asi 662MC) bei außergewöhnlich gutem Seeing entstand. Wie der seltsame Farbton verrät, filmte ich im Infrarot.

Aus einem derartigen Video entsteht letztlich ein geschärftes Summenbild.
  • Ausweichen ins Infrarot

Im fürs Auge unsichtbaren Infrarot (IR) macht sich die Luftunruhe weniger störend bemerkbar. Spezielle Planetenkameras sind daher auch im IR empfindlich.

  • ohne Filter fangen sie sichtbares und infrarotes Licht gleichzeitig ein
  • mit einem UVIR-Sperrfilter fällt nur noch sichtbares Licht auf den Sensor
  • mit einem IR-Pass-Filter beschränkt man sich auf infrarotes Licht

Anders als man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte, wird der Planet beim Filmen im IR von den Farbkameras nicht in tiefem Rot abgebildet. Die spektrale Kante des jeweiligen IR-Filters definiert, ab welcher Wellenlänge Licht zur Bayer-Matrix gelangt. Diese liegt direkt vor dem Kamerasensor. Die drei Farben der Matrix sind für die infrarote Strahlung verschiedener Wellenlängen aber unterschiedlich durchlässig.

Letztlich ist es die Kombination aus Filter und Cam, die den Farbton bestimmt. Das folgende Beispiel zeigt das Resultat mit drei IR-Filtern von Baader, Astronomik oder Zwo vor der Cam Zwo Asi 678MC.
Die Filternamen verraten den Durchlassbereich (Filter öffnet ab ...). Die Empfindlichkeit der Asi 678MC nimmt ab 850 nm ab, reicht aber bis über 1.000 nm.
Nachteil: Mit zunehmender Wellenlänge sinkt die Auflösung der Optik: Relativ zum blauen Ende des Spektrums sogar auf etwa ein Drittel.
  • Notlösung im Rotlicht

Wer keine infrarotempfindliche Kamera besitzt, kann es im Rotlicht versuchen. Auch hier ist das Seeing besser als über den gesamten sichtbaren Bereich hinweg. Dazu wird ein Rotfilter vor die Kamera geschraubt.

Es gibt einfache Filtergläser, die zusätzlich auch etwas Licht kürzerer Wellenlängen passieren lassen - aber auch Rotfilter, die eine scharfe Kante gegenüber den anderen Farben zeigen.
Die schneiden dann quasi "wie ein Messer" durchs Spektrum. Dazu zählt z.B. der Baader Longpass 610.

Hier sehen Sie die Venus, fotografiert mit und ohne diesen Rotfilter.
Nachteil: Je größer die Wellenlänge, desto geringer ist auch hier die Auflösung der Optik. Im Vergleich zum blauen Ende des Spektrums sinkt sie im tiefen Rot auf etwa die Hälfte.
  • Warten auf brauchbare Bedingungen: Prüfung mit dem Auge

Das Seeing lässt sich schon mit freiem Auge einschätzen. Je stärker die Sterne funkeln, desto schlechter ist es. Bei sehr schlechtem Seeing oder besonders niedrigem Stand beginnen sogar Planeten zu funkeln.

Im Teleskop verzerrt sich dann das Planetenbild in rascher Folge. Man tut sich dann schwer mit dem Scharfstellen. Das Problem wird umso auffälliger, je höher die eingesetzte Vergrößerung ist.

Da wir beim Filmen von Planeten durchaus virtuelle Vergrößerungen vom 200 bis 600-fachen erzielen, ist die Abbildungsqualität immer vom Seeing begrenzt. Hat man alle anderen Faktoren im Griff, wird das Seeing sogar zur entscheidenden Größe. Daher filmt man Mond und Planeten vorzugsweise in Nächten mit außergewöhnlich gutem Seeing.

  • Prognose brauchbarer Bedingungen: Ein Modell liefert die Vorausschau

Neben der Prüfung mit dem Auge am Teleskop oder am Monitor liefert MeteoBlue (Schweiz) einen guten Anhaltspunkt für das aktuelle Seeing in Ihrer Region. MeteoBlue sollte Ihren Beobachtungsort auf der Welt automatisch erkennen und dient als Anhaltswert. Dass die Realität mitunter auch drastisch vom Modell abweichen kann, versteht sich von selbst.
Hier erhalten Sie detaillierte Daten, wobei Sie sogar Ihre genauen Koodinaten (Breite und Länge in Kommaschreibweise) eintippen können. Wenn Sie den dann resultierenden Link als Lesezeichen abspeichern, ersparen Sie sich die Koordinateneingabe bei den folgenden Aufrufen dieser Seite.

Jedenfalls: Das prognostizierte Seeing wird in Bogensekunden (Spalte "arc sec") angegeben. Je niedriger dieser Wert, desto besser die erzielbare Auflösung. Anzustreben sind, je nach Fernrohrleistung, Werte zwischen 1,3 und 1,0 Bogensekunden. 1,0 ist schon sehr gut. Ein noch besseres Seeing (Werte unter 1,0) stellt sich bei mir höchst selten ein. Solche Nächte sollte man nicht verpassen!
MeteoBlue-Beispiel: Die Spalte "Seeing in Bogensekunden" habe ich rot markiert

MeteoBlue kann freilich nicht wissen, ob Sie ein Objekt hoch droben, also nahe dem Himmelsscheitel, oder tief über dem Horizont beobachten. Daher mag die Vorausschau für Ihr aktuelles Projekt auch viel zu optimistisch ausfallen.
  • Probleme im Nahbereich

MeteoBlue kann außerdem nicht wissen, wie es im Nahbereich Ihres Teleskops aussieht. Jede Temperaturdifferenz stört hier - weshalb man Planeten auch nicht durchs geöffnete Fenster beobachtet. Am Balkon können Bodenkacheln die Tageswärme speichern und nachts abstrahlen.

Die Thermik an der Hauswand oder ein tiefer gelegenes, geöffnetes Fenster reduzieren das tatsächliche Seeing ebenfalls. Dass man die eigene Balkontüre vor dem Filmen schließt, ist selbstverständlich.

Außerdem sollte der Sehstrahl zum Planeten am besten nicht über Asphalt und Beton führen. Die sind der Grund, warum Städte wie Wien schon jetzt mehrere Grad wärmer sind als ihr Umland. Die Bodenversiegler speichern die Tageswärme und strahlen sie nachts ab.

Winters kann die  warme Luft von Rauchfängen zum Problem werden. Vielbefahrene Straßen sind es immer. Angesichts der städtischen Bebauungssucht (ganz besonders extrem in meinem Wohnbezirk Wien-Floridsdorf) wird sich die Situation noch verschlechtern.

Wer sein Teleskop mit dem Auto transportiert, wird es wohl am besten auf Wiesen stellen. Hier soll die lokale Thermik günstig sein.


Alle Angaben ohne Gewähr
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